Der Leidensweg der Emma Schlewitz

Dieser Artikel ist am 09. April in der WAZ-Herne erschienen. Von Norbert Arndt.

Vom Gesundheitsamt Herne in die Tötungsanstalt überwiesen: Die DGB-Geschichtswerkstatt hat die Geschichte der Großmutter von Gabriela Macagnino in der NS-Zeit erforscht

Mehrere Hunderttausend Psychiatriepatienten, geistig Behinderte und Menschen mit körperlichem Handicap, darunter etwa 200 aus Herne, wurden von den Nazis mit Kohlenmonoxid vergast, man tötete sie mit Giftspritzen oder ließ sie gezielt verhungern. Die Faschisten verschleierten dieses Töten mit dem Begriff Euthanasie, was sich mit „leichter Tod“ übersetzen lässt. Leicht war der Tod aber für die Opfer und deren Angehörige nie, wie ein weiteres Schicksal aus unserer Stadt zeigt.

Durch einen Artikel der WAZ-Lokalredaktion über Euthanasietötungen aufmerksam geworden, wandte sich die gebürtige Hernerin Gabriela Macagnino an die DGB-Geschichtswerkstatt und bat um Hilfe bei der Klärung des Schicksals ihrer Oma Emma und einer Lücke in der Biografie ihrer Mutter Inge Schlewitz. Die Recherchen von Werkstattmitglied Udo Jakat brachten Licht in die ungeklärte Familiengeschichte.

Ernst Schlewitz gehörte der KPD an

Großmutter Emma kam 1921 mit ihrem Mann Ernst Schlewitz und einem ersten Kind aus Westpreußen nach Herne. Hier bekamen sie weitere zwei Töchter und wohnten zunächst in der Kanalstraße 1 in Horsthausen. Opa Ernst legte auf der Zeche Friedrich der Große 1/2 an. Später wechselte er, verbunden mit weiteren Wohnungswechseln, zur Bladenhorsterstraße und schließlich zur Bruchstraße 13b zur Zeche Erin.

Ernst Schlewitz gehörte wie viele damalige Bergleute der KPD an, verweigerte nach Machtantritt der Nazis den „Deutschen Gruß“ und hörte heimlich ausländische Radiosendungen. „Hilde, die älteste Tochter, hat immer gesagt: ,Papa, mach das Radio aus, sonst kommt wieder die Polizei’“, sagt Gabriela Macagnino. Wegen seiner Resistenz soll er einige Male, wahrscheinlich im Polizeigefängnis Herne, eingesperrt gewesen sein.

1935 wurde Emma, die die beiden älteren Schwestern von Inge als liebevolle Mutter in Erinnerung haben, aus ungeklärten Gründen vom Medizinalrat der Stadt Herne Dr. Otto Meyer in die Heil- und Pflegeanstalt Warstein eingewiesen. Jakat: „Da die Akten des Gesundheitsamtes in den 1970er Jahren vernichtet wurden, weiß man nicht aus welchen ,rassehygienischen’ Gründen sie deportiert wurde“.

In Warstein brachte Emma eine Tochter zur Welt

„Seit die Oma weg war, übernahm meine Tante Hildegard, die damals 14 Jahre alt war, den Haushalt. Sie versorgte den Opa und ihre Geschwister“, erzählt Gabriela Macagnino. Man wusste damals auch nicht, dass Emma Schlewitz bei ihrer Einweisung schwanger war. In Warstein brachte sie eine weitere Tochter zur Welt, die sofort in ein Kinderheim aufgenommen wurde und von der Heimleitung den Namen Inge bekam.

„In Warstein wurden Selektionslisten vom Anstaltsleiter, Provinzialmedizinalrat Petermann – NSDAP-Mitglied seit 1933 – für die Tötungsanstalten angelegt. So wurde Emma Schlewitz am 14. August 1941 von Warstein in die Heil- und Pflegeanstalt Eichberg in der Nachbarschaft des Klostern Erbach bei Eltville verlegt. Von den 58 Frauen des Transports wurden dort 38 Frauen im Dezember 1943 getötet. Darunter die 46-jährige Emma Schlewitz. Bis auf vier Frauen wurde der Rest in weiteren Anstalten getötet“, erklärt Udo Jakat.

Ihre Tochter Inge, die Mutter von Gabriela Macagnino, kam nach fünf Jahren Heimaufenthalt, im Jahre 1941 in die Familie nach Herne. Die älteren Geschwister sprach die völlig verstörte Fünfjährige, wie im Heim die Vincentinerinnen, mit „Schwester“ an. Jahrelang lebte die heranwachsende Inge in dem Glauben, ihre Mutter Emma sei bei ihrer Geburt im Jahre 1936 verstorben.

Friedrich Manneke wurde 1947 zu Tode verurteilt

„Die Heil- und Pflegeanstalt Eichberg stand unter Leitung von SS-Hauptsturmführer Dr. Friedrich Mennecke, der die Tötung von Emma Schlewitz durch Nahrungsentzug und Medikamentenüberdosierung anordnete“, erklärt Jakat. „Nach der Befreiung vom Faschismus wurde Mennecke 1947 durch das Landgericht Frankfurt im ,Eichberg-Prozess’ zum Tode verurteilt und starb einen Monat später im Zuchthaus Butzbach. Alle anderen Beteiligten in Eichberg wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt und nach kurzer Zeit begnadigt.“

Die Einstellung der handelnden Ärzte beschrieb Karl Brandt, der Leibarzt von Adolf Hitler: „Wir deutschen Ärzte betrachten den Staat als Individuum, dem wir vor allem unsere Treue schulden, und daher zögern wir nicht (…), eine Anzahl von Menschen zu vernichten, wenn wir der Überzeugung sind (…), dass der Staat sich ohne sie besser entwickeln kann.“